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Anstoß

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“Warum schreibst Du eigentlich kein Buch?” drang beiläufig an meine Ohren, weil ich wieder einmal seit einer Stunde mit meinen Tagebuchaufzeichnungen beschäftigt war. Ich prustete und verzog abwinkend das Gesicht. – Schöne rhetorische Frage! Warum sollte ICH ein Buch schreiben?

Was hatte ich, ein kaum sichtbares Küken in einem überbevölkerten Hühnerstall, der Welt schon anzubieten? Kaum war ich aus meinem warmen, schützenden Ei geschlüpft, da sollte ich mir auch schon anmaßen, dem ausgewachsenen Federvieh, darunter all die erfahrenen, gelehrten, besserwissenden und aufgeblasen krähenden Hähne und all die spottenden, hinter eigenen Gittern gefangenen und konfus gackernden Hennen, meine Memoiren zu präsentieren? Alle meine atemberaubenden Erlebnisse aus dem Ei, hochphilosophischen Weisheitsgeistesblitze und seelentiefen Einblicke in die mystischen Zusammenhänge zwischen Dotter und Eiweiß sauber angeordnet mit der Sonnenseite nach oben, klar strukturiert durchgebraten und möglichst vorverdaut auf einem goldenen Teller? Nein danke…

* * *

Den heimischen Tellerrand des Elternhauses verließ ich endgültig erst mit 22 Jahren. Es wurde auch Zeit. In mir schrie alles nach Neuem und vor allem nach mehr. Präzise formuliert: In mir erwachte der unumstößliche Drang, die innere und äußere Welt eingehend zu erforschen. Oder in den astrologischen Zusammenhang gebracht: Mein Schütze-Aszendent setzte sich über meine Krebs-Sonne hinweg.

Und mein Traum verwirklichte sich! Eines Tages packte ich all mein Zeug, ließ ein pfälzisches Hinterdorf hinter mir und fand mich mitten in der Hochwüste New Mexicos, dreißig Autominuten südlich von Santa Fe wieder – als Student an der Nizhoni-School For Global Consciousness. Am Rand des Kraters eines einstigen Vulkans (heute ‚Galisteo Becken’ genannt), wo zu früheren Zeiten Indianerstämme zelebriert und ihre Zeichnungen im alten Lava-Gestein hinterlassen hatten, hatte Chris Griscom 1989 auf einem 51 ha großen Gelände jene internationale, ganzheitlich orientierte Privatschule gegründet, die nun ein Jahr lang zu meiner Lebensschmiede werden sollte.

Die Entscheidung, diesen Schritt zu tun, war für mich die schwierigste, aber auch beste, die ich bislang in meinem Leben getroffen hatte. Gleichzeitig war es die kostspieligste, aber wertvollste Bereicherung für mich. – Da bin ich mit Hans im Glück auf gleicher Wellenlänge: Er gab all seine materiellen Güter her, die er sich mühsam erarbeitet hatte, um sich wichtige Lebenserfahrungen zu ermöglichen, aus denen er lernen, an denen er wachsen konnte.

“Mein Wunsch für das kommende Jahr ist, dass ich herausfinde, was ich der Welt zu geben habe.” sagte ich in der Silvesternacht zum Kalenderjahr 1995. Mit gut 30 anderen Teilnehmern hatte ich mich bei Kerzenschein im Light-Institute zur Mitternachtsmeditation eingefunden. Chris hatte sie geleitet und die Frage an uns gerichtet. Ich saß direkt linker Hand neben ihr und war daher der erste in der Reihe, der sprechen musste.

* * *

Wer zu Nizhoni geht, so heißt es, der kommt als anderer Mensch zurück. Nun, die Tatsache, dass ich nach meiner Rückkehr nun doch damit beginne, dieses Buch zu schreiben, mag diese These bestätigen, doch ich will mich hier nicht auf Verallgemeinerungen einlassen. Schon gar nicht will ich mit diesem Buch die Wahrheit verkünden; denn es gibt nur eine, nämlich die jedes einzelnen. Und somit unendlich viele. Und somit keine.

Vielmehr möchte ich – als Spiegelbild für das sich zunehmend rascher verändernde Weltgeschehen – von der Wirklichkeit und dem Leben eines Erdbewohners berichten,

  • dem dieser Planet sehr am Herzen liegt, samt all den variationsreichen Lebensformen, die sich auf ihm tummeln,
  • der jedoch all die Probleme sieht, die er und Millionen von Mitbewohnern täglich durch ignorantes und engstirniges Handeln in die Welt setzen,
  • der sich darum um eine globale und holistische Betrachtungsweise und eine stetig wachsende Bewusstheit bemüht,
  • der nun aus seinem Dornröschenschlaf der Ohnmacht und Unscheinbarkeit erwachen möchte und
  • die Evolution zum Weltbürger zu vollziehen bereit ist.

Denn darin sieht er die Möglichkeit, die ein friedvolles Zusammenleben der Menschen ermöglicht und die Erde als ihren Lebensraum erhalten kann.

Aber vorerst möchte ich den Kern meiner Betrachtungen nicht irgendwo außerhalb suchen, sondern im eigentlichen Brennpunkt allen Geschehens: In mir selbst.

Der Ort, der uns so nah und doch so fremd ist, der so vertraut wirkt und doch unerforscht brachliegt, der uns so bekannt vorkommt, uns aber unerklärlich bleibt.

Der Ort, der das Wertvollste ist, das wir haben, den wir aber mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln verbergen und so gut beschützen, dass wir ihn vor lauter Mauern und Selbstschussanlagen selbst kaum mehr erreichen können. Der Weg dorthin liegt unter Schutt und Geröll begraben. Wer ihn begehen will, der steht einem Labyrinth voller Falltüren und einem Dschungel voller Gefahren gegenüber.

Doch es gibt viele Mittel und Wege, die dem tapferen Krieger hindurchhelfen. Einer davon heißt “Nizhoni”. Der Begriff stammt aus der Sprache der Navajo-Indianer und bedeutet “Weg der Schönheit”.

Was mein Weg nun für mich bereit hielt, woher und wohin er mich führte, davon will ich Zeugnis ablegen. Denn soviel habe ich gelernt: Das größte Geschenk, das ich der Welt machen kann, bin ich selbst.

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