Die orphische Mythologie berichtet vom Beginn unserer Welt wie folgt:
Am Anfang war universale Finsternis. In ihr schwebte der große, schwarze Vogel Nyx (=Nacht). Dieser legte ein Ei, und daraus schlüpfte Eros mit goldenen Flügeln. Die Eierschale zersprang in zwei Hälfen: Eine wurde zu Uranos (=Himmel), die andere zu Gaia (=Erde).
Dieser Schöpfungsmythos gibt auf sehr anschauliche Weise das Drei-Welten-Modell wieder, das auch Anschauungsgrundlage der Geomantie ist.
Aus dem Ei, das die große Ureinheit darstellt und das Potenzial für alles Leben enthält, gehen drei Dinge hervor: der Himmel, die Erde und dazwischen ein zweigeschlechtliches Wesen mit Engelszügen, das zwischen den Welten vermittelt. Eros, der dem römischen Amor entspricht, ist Repräsentant der Liebe, die Kraft, die alle Bestandteile der Welt miteinander verbindet.
Im Taoismus werden die beiden „Eierschalen“ Yin und Yang genannt. Zusammen bilden sie eine Einheit: das Tao, die Urquelle allen Seins. Die Kraft, die sie zusammenhält, nennen die Chinesen „Chi“.
| orph. Mythologie | Uranos | Eros | Gaia |
| Reich | Himmel | Mensch | Erde |
| Taoismus | Yang | Chi | Yin |
Es erstaunt, wie verbreitet das Prinzip der Dreiheit auf der Erde ist und wie es die Weltanschauung der Kulturen zu allen Zeiten bestimmt hat. Darüber möchte ich im Folgenden einen Überblick geben.
Die Drei als Kreislauf
Seit der Mensch auf der Erde wandelt, betrachtet er die Vorgänge in der Natur, die sich in regelmäßigen Zyklen immer wiederholen. Alles wird geboren, lebt und stirbt in ewigen Kreisläufen:
- Die Sonne erscheint jeden Tag neu am Himmel, steigt hinauf, erreicht ihren Höchststand, wandert wieder hinab und verschwindet unter dem Horizont, um nach einer Phase der Dunkelheit am nächsten Morgen zurückzukehren. (Verbindet man gedanklich die Punkte Aufgang, Zenith und Untergang, so ergibt sich ein Dreieck, dessen Seiten die Tagesphasen darstellen und je nach Jahreszeit unterschiedlich lang sind.)
- Die Pflanzen treiben jedes Jahr Blüten aus, lassen Früchte heranreifen und gehen wieder in die Vegetationsruhe über, bis sie im nächsten Jahr zu neuem Leben erwachen. (Teilt man den Jahreskreis in drei Abschnitte ein, die diesen Phasen in mittleren, nördlichen Breiten entsprechen, so lassen sich ihnen jeweils die Monate März bis Juni, Juli bis Oktober und November bis Februar zuordnen.)
- Der Mensch richtet dabei nicht nur sein Leben nach den Tages- und Jahreszeiten aus, sondern er durchlebt selbst die Stadien von Jugend, Reife und Alter.
Durch die Beobachtung der natürlichen und kosmischen Vorgänge erkannte der Mensch drei grundlegende Prinzipien: Schöpfung, Erhaltung/Bewahrung und Zerstörung/Umformung.
Intuitiv schienen die Menschen früher Kulturen zu wissen, dass Zeit und Raum untrennbar miteinander verbunden sind (was die moderne Physik heute mit dem Begriff „Raumzeit“ bezeichnet), denn sie wiesen diesen zeitlichen Prinzipien Orten zu, mit denen sie assoziiert wurden: Himmelswelt, Erdenwelt und Unterwelt.
Wie gesagt durchlaufen alle Dinge des Universums diese drei Qualitäten der Raumzeit. Ihre
Zuordnung ist jedoch je nach der Position des Betrachters unterschiedlich.
Klassisches Symbol für das Leben ist der Fluss. Auch er durchläuft in seiner Entwicklung die drei Phasen: Er wird geboren in einer Quelle, wandert und windet sich durchs Leben, bis er schließlich seine Identität aufgibt und in etwas Größerem aufgeht, indem er in den Ozean mündet. Der Ozean stellt für den Fluss den Aspekt der Zerstörung dar, während aus der Sicht des Ozeans der Fluss einen Schöpfungsaspekt darstellt. Die Verdunstung wiederum bedeutet für den Ozean den Tod, während sie gleichzeitig die Geburt für eine Wolke ist, usw.
| Natur | Entstehen | Leben | Vergehen |
| Pflanzen | Blühen | Fruchten | Vegetationsruhe |
| Jahr | März-Juni | Juli-Oktober | November-Februar |
| Sonne | Aufgang, Aufstieg | Zenith, Abstieg | Untergang, Dunkelheit |
| Tag | Morgen, Vormittag | Mittag, Nachmittag | Abend, Nacht |
| Mensch | Jugend | Reife | Alter |
| Prinzip | Schöpfung | Erhaltung / Bewahrung | Zerstörung / Umformung |
| Welt | Himmelswelt | Erdenwelt | Unterwelt |
Die Drei als Göttin
Lange Zeit wurde die Erde als eine Göttin verehrt. Sie war zum einen die Wohltätige, die gebiert, versorgt und ernährt. Doch andererseits war sie auch die Schreckliche, die verschlingt, vernichtet und zerstört. Ihre drei Aspekte lassen sich bildlich mit den drei „G“s beschreiben: Sie ist Gebärmutter, Garten und Grab in einem. Geläufig und häufig dargestellt ist die Dreifaltigkeit in Gestalt von Jungfrau, Mutter und Alte. Es ist beachtlich, in wie vielen Kulturen die Vorstellung einer weiblichen Trinität beheimatet ist. Die Göttinnen tragen unterschiedliche Namen, dennoch stimmen sie in ihren Eigenschaften überein.
Zu den frühesten Formen der dreifältigen Urmutter (d.h. in die Zeit nach der letzten Eiszeit vor 9-10 000 Jahren) gehört die indische Kali. Im Tantrismus verkörpert sie als Prakriti (=Urmaterie) die drei Grundeigenschaften, die Gunas (=Fäden) genannt werden. Diese Schicksalsfäden haben unterschiedliche Farben – Weiß, Rot und Schwarz – und tragen die Namen Sattva (Klarheit, Harmonie, Helligkeit), Rajas (Bewegung, Energie, Leidenschaft) und Tamas (Chaos, Trägheit, Dunkelheit). Noch in der Grimmschen Märchenwelt lassen sich Relikte davon finden. Schneewittchen etwa wird in den Farben der Großen Göttin beschrieben: Ihre Haut war weiß wie Schnee, ihre Lippen rot wie Blut und ihr Haar schwarz wie Ebenholz.
Die ägyptische Urmutter Mut wird gleichermaßen dreigestaltig dargestellt. In ihr zeigen sich die Aspekte von Maat (Göttin der Wahrheit und Weltordnung), Hathor (Mutter- und Liebesgöttin) und Nechbet (Göttin des Todes in Geiergestalt).
Die griechische Göttin Demeter (röm. Ceres) deutet bereits mit ihrem Namen auf ihre Dreifaltigkeit hin: de-mater. „Mater“ heißt Mutter, und das griechische „D“ (=Delta) wird als Dreieck dargestellt. In ihr vereinigen sich ihre Tochter Kore (Göttin der Fruchtbarkeit und des Getreides, vgl. dt. „Korn“, engl. „core“), ihr Sohn Plutos (Gott des Reichtums und der Bodenschätze) und ihre Tochter Persephone (Göttin der Unterwelt, Gattin des Hades).
Auch die dreileibige Hekate ist ein bekanntes Beispiel für die weibliche Trinität.
Manche Göttinnen verraten ihren Hauptaspekt mit ihrem Namen, wie die griechische Jungfraugöttin Hebe (röm. Juventas) = „Jugend“, die Muttergöttin Hera (röm. Juno) = „Beschützerin“ oder die germanische Totengöttin Hel oder Holle, die der „Hölle“ den Namen gegeben hat.
Eine besondere Rolle im germanischen Raum spielten die drei Nornen (=die Raunenden), die drei Schicksalsgöttinnen, die das Schicksal der Menschen raunen. Sie sollen älter sein als alle anderen Götter, weswegen nicht nur die Menschen, sondern auch die Götter ihnen ausgeliefert sind. Ihre Namen sind Urd (die den Lebensfaden spinnt), Verdandi (die den Lebensfaden misst) und Skuld (die den Lebensfaden durchtrennt).
Entsprechungen im griechischen (bzw. römischen) Raum reichen von den losenden Moiren (Parzen) über die anmutigen Chariten (Grazien) bis zu den grollenden Erinyen (Furien) und Gorgonen (vgl. Tabelle).
Den Griechen waren auch drei Jahreszeiten bekannt, die durch die drei Horen repräsentiert werden: Thallo (Blühen), Auxo (Wachstum) und Karpo (Früchte). Später wurden die Horen zu Göttinnen der Sitte: Eunomia (Gesetzesordnung), Dike (Recht) und Eirene (Frieden).
Im „Heiligen Kleeblatt“ der Kelten sind ebenfalls drei Muttergottheiten zusammengefasst, die vor der Zeit der Christianisierung verehrt wurden. Bekannte Beispiele sind die Brigitten, die Morgans und – besonders in Mitteleuropa – die Bethen. Der Kult um diese drei göttlichen Frauen, die viele Jahrhunderte lang als Urmütter, Helferinnen, Heilerinnen, Beschützerinnen und Lehrmeisterinnen angerufen wurden („beten“ bedeutete ursprünglich „Bethen anrufen“), wurde schließlich von der katholischen Kirche okkupiert. Dort lebte die Frauentrinität in den Nothelferinnen Katharina, Margaretha und Barbara weiter, deren Schutzformel „K+M+B” noch heute vielerorts über den Türen prangt.
Auch im arabischen Raum wurde lange Zeit vor dem Islam die Große Mutter verehrt, hier insbesondere als Mondgöttin, deren Sichel bis heute das Symbol für den Islam darstellt. Ebenso wie die Erde wurde auch der Mond als eine Göttin mit drei Aspekten angesehen, die sich in seinen wahrnehmbaren Phasen zeigen: zunehmend, voll und abnehmend. Ein Name dieser Göttin ist Manat. Er hängt direkt mit dem Begriff „Mana“ zusammen, der die Mondkraft bezeichnet. „Manie“ ist die höhere Kraft, die einen Menschen im Wahn packt und aus ihm einen „maniac“ oder „lunatic“ macht, einen Mondsüchtigen im besten Sinne, einen vom göttlichen Funken Getroffenen. – Mit dieser Kraft hat man auch zu tun, wenn man Geomantie betreibt!
Die drei in Mekka verehrten Hauptgöttinnen hießen Al-Lat (vgl. sprachliche Nähe zu „Allah“!), Al-Uzza und Al-Manat, deren Sitz sich jeweils in einem weißen, roten und schwarzen Stein befunden haben soll. Letzterer wurde vom Islam als zentrales Heiligtum übernommen: die Kaaba.
| Göttin | Jungfrau (weiß) Ganzheit, Ursprung | Mutter (rot) Liebe | Alte (schwarz) Tod, Erneuerung |
| ind. Gunas (=Fäden) | Sattva (=Klarheit, Harmonie, Helligkeit) | Rajas (=Bewegung, Energie, Leidenschaft) | Tamas (=Chaos, Trägheit, Dunkelheit) |
| Schneewittchen | Haut weiß wie Schnee | Lippen rot wie Blut | Haar schwarz wie Ebenholz |
| ägypt. Mut | Maat | Hathor | Nechbet |
| grch. Demeter, röm. Ceres | Kore (=Mädchen) | Plutos (=Fülle, Reichtum) | Persephone (=die die Garben drischt) |
| germ. Nornen (=die Raunenden) | Urd (=Schicksal, das Gewordene) | Verdandi (=das Werdende) | Skuld (=Schuld, das Werdensollende) |
| grch. Moiren (=die Losenden), röm. Parzen | Klotho (=Spinnerin) | Lachesis (=Zuteilerin) | Atropos (=Unabwendbare) |
| grch. Chariten (=die Anmutigen), röm. Grazien | Aglaia (=Glanz) | Euphrosyne (=Frohsinn) | Thalia (=Glück) |
| grch. Erinyen (=die Grollenden), röm. Furien | Alekto (=die Unablässige) | Megaira (=die Neidische) | Teisiphone (=die Rächerin) |
| grch. Gorgonen (=die Starrblickenden) | Stheno | Euryale | Medusa |
| grch. Horen (=Jahreszeiten) | Thallo (=Blühen) Eunomia (=Gesetzes-ordnung) | Auxo (=Wachstum) Dike (=Recht) | Karpo (=Früchte) Eirene (=Frieden) |
| kelt. Bethen (=die Ewigen) | Wilbeth (=Rad, Kreis, Licht, Weisheit) | Ambeth (=Mutter, Erde) | Borbeth (=Wärme, Glanz) |
| kath. Schutzfrauen | Katharina (=die Reine) | Margaretha (=die Perle) | Barbara (=die Fremde) |
| Mond | zunehmend | voll | abnehmend |
| altarab. Hauptgöttinnen | al-Lat (=die Göttin) | al-Uzza (=die Mächtige) | al-Manat (=das Schicksal) |
Die Drei als Konstellation
Das Dreigespann der Kräfte zeigt sich nicht nur bei Erde und Mond, sondern entsprechend auch am Himmel. Hier bilden die Himmelskörper ein Team, die von der Erde aus am besten zu beobachten sind: Sonne, Mond und der Planet Venus, der Morgen- und Abendstern.
Folgende Tabelle enthält die jeweiligen Götternamen aus der mesopotamischen und griechisch-römischen Kultur.
| Himmel | Sonne | Mond | Morgen-/ Abendstern |
| Babylon | Schamasch | Sin (vgl. Sinai) | Ishtar |
| Sumer | Utu (=”hell”) | Nanna | Inanna |
| Griechenland | Helios | Selene | Aphrodite |
| Rom | Sol | Luna | Venus |
Während der Planet Venus in allen genannten Kulturen als weiblich angesehen wird, gilt die Sonne als männlich. In Mesopotamien (Babylon, Sumer) tritt der Mond als Vater für Sonne und Venus auf, während Sonne und Mond in Rom und Griechenland Bruder und Schwester sind.
Mit der Patriarchalisierung, die vermutlich vor etwa 6000 Jahren im mesopotamischen Raum begann und sich dann über Ägypten und Indien weiter ausbreitete, wurden aus den Göttinnen zunehmend Götter (was auch aus der Geschlechterverteilung in obiger Tabelle hervorgeht).
Obwohl seit dem 13. vorchristlichen Jahrhundert mit dem ägyptischen König Echnaton auch der Monotheismus weltweit Einzug hielt, blieb die Dreifaltigkeit dabei erhalten. Sie zeigte sich nunmehr in der klassischen Vater-Mutter-Kind-Konstellation.
Bei den Etruskern, Griechen und Römern besteht die oberste Triade noch aus Vater, Mutter und Tochter:
| Etrusker | Tinia | Uni | Menrva |
| Griechen | Zeus | Hera | Athene |
| Römer | Jupiter | Juno | Minerva |
Die Römer ersetzten später die weiblichen Gottheiten durch männliche. Dies entsprach dann schon eher dem mesopotamischen „Vorbild“ einer rein männlichen Triade:
| Römer | Jupiter | Mars | Quirinus |
| Babylonier | Ea | Ellil | Anu |
| Sumerer | Enki | Enlil | An |
Auch die hinduistische Trimurti folgt dem rein männlichen Prinzip. Bestehend aus einem Schöpfer, einem Erhalter und einem Zerstörer ist sie unverkennbar aus den drei Eigenschaften der Großen Mutter Kali hervorgegangen. Zudem sind ihnen noch weibliche Partnerinnen zugeteilt:
| hindu. Trimurti | Brahma | Vishnu (=Wirker) | Shiva (=Gnädiger) |
| Partnerin | Sarasvati (=Fließende) | Lakshmi (=Reichtum) | Durga (=Unergründ-liche) |
Ist in Ägypten noch die Vater-Mutter-Sohn-Konstellation in Gestalt von Osiris, Isis und Horus zu finden, fällt in der christlichen Trinitas die Mutter zu Gunsten des Heiligen Geistes weg. Zwar hat es Zweige innerhalb des Christentums gegeben, in denen die Jungfrau Maria zur Göttin erhoben wurde, sie überlebten aber nicht. Die Gnostiker hingegen bewahrten mit der Sophia (=Weisheit) einen weiblichen Anteil in ihrer Gottesvorstellung. Ihr Symbol war die Taube der Aphrodite (!), die später zum Symbol des Heiligen Geistes wurde. Die Sophia gilt auch als die Mutter dreier Töchter: Glaube, Liebe und Hoffnung.
| Ägypten | Osiris (=Sitz des Auges) | Isis (=Thron) | Horus (=der Ferne) |
| christl. Trinitas | Vater Kyrios (Herr) | Heiliger Geist Maria / Sophia | Sohn Jesus Christos |
| Töchter der Weisheit | Fides (=Glaube) | Caritas (=Liebe) | Spes (=Hoffnung) |
Die zahlreichen Parallelen und historischen Verbindungen machen deutlich, welch immense Verwurzelung und Verbreitung die Drei als göttliche Konstellation im Bewusstsein der Menschen erfahren hat.
An dieser Stelle sei noch die Astrologie angeführt, in der eine Konstellation als besonders ausgewogen und harmonisch angesehen wird: der trigonale Aspekt, der dann entsteht, wenn die Planeten im 120°-Winkel in Form eines gleichseitigen Dreiecks zueinander stehen.
Die Drei als Energiezustände
Im Mittelalter suchten die Alchimisten nach dem Stein der Weisen, nach der Kraft der Sophia (s.o.). Sie gingen davon aus, dass es drei Wesenskräfte gibt, die in allen Dingen in unterschiedlichen Anteilen vorhanden sind. Diese Wesenskräfte bezeichneten sie mit Sulphur (Schwefel), Mercurius (Quecksilber) und Sal (Salz). Während Sulphur das Wesenhafte, Feinstoffliche und Flüchtige bezeichnet, ist Sal als Gegenstück dazu das Sinnbild für das Körperhafte, Grobstoffliche und Feste. Mercurius nimmt dabei – wie auch der röm. Merkur (Hermes) – die Rolle des Boten ein, der zwischen den beiden Polen vermittelt. Er stellt das Bewegende und Wechselwirkende dar.
Die Chemie, die jüngere Schwester der Alchimie, liefert eine einfache Analogie, indem sie die Aggregatzustände von Stoffen beschreibt: Während die Moleküle sich im festen Zustand dicht aneinander drängen (Sal), suchen sie im gasförmigen Zustand auseinander strebend das Weite (Sulphur). Im flüssigen Zustand herrscht hingegen Ausgewogenheit zwischen den beiden Extremen (Mercurius).
Alle Dinge lassen sich unter diesem Aspekt betrachten: In der Blüte verteilt die Pflanze freigebig ihren Duft und ihren Pollen (Sulphur), in der Frucht konzentriert sie ihre energiereichen Stoffe (Sal), und in den Leitbahnen geschieht der Stoff- und Energietransport (Mercurius).
Die drei Wesenskräfte sind gleichermaßen Sinnbild für die Dreiteilung des Menschen in Geist, Seele und Körper bzw. für seine drei höchsten Fähigkeiten: Sein, Sich-Beziehen und Tun, oder mit anderen Worten: Denken (=Bewusst-Sein), Fühlen und Handeln.
In den Anfängen eng verknüpft mit der Alchimie war die Astrologie. Sie teilt die Zeichen des Tierkreises in drei verschiedene Modi ein: grundlegend, veränderlich und fest. – Wieder andere Worte für dasselbe Prinzip.
Pythagoras (ca. 540 v. Chr.) führte seine berühmte Zahlensymbolik ein, mit der er die Weltordnung beschrieb. Darin wies er der grundlegenden Eins (Monas) das Spirituelle zu, der dualistischen Zwei (Dyas) das Materielle und der Drei (Trias) die Einheit aus beiden.
Platon tat sich etwa 150 Jahre später schon sehr viel schwerer damit. Für ihn gibt es die ursprüngliche Welt der Ideen auf der einen Seite und die Welt der Abbilder auf der anderen Seite. Alle materiellen Erscheinungsformen sind für ihn Abbilder aus der Welt der Ideen, aber das verbindende Glied, das aus den Ideen die Abbilder macht, konnte er nicht benennen.
Noch heute streitet die Physik um das Zwischenglied, das Albert Einstein längst postuliert hat: den Äther.
Das Weltbild, dessen die Geomantie sich bedient – nämlich ihre Einteilung in Geist, Äther und Materie, hat wie gezeigt eine sehr lange und wechselvolle Geschichte. Sie endet mit der Nomenklatur eines Marko Pogacnik, der in seinem Grundlagenwerk „Schule der Geomantie“ die drei Bereiche der Welt wie folgt benennt: Urraum, Multidimensionaler Raum und Manifestierter Raum.
| Alchimistische Wesenskräfte | Sulphur (=Schwefel) Auflösung, Zerfall, Verdampfung zentrifugal → wesenhaftes Prinzip | Mercurius (=Quecksilber) Beziehung, Kommunikation, Vermittlung wechselwirkend → bewegendes Prinzip | Sal (=Salz) Kristallisation, Ausfällung, Verhärtung zentripetal → körperhaftes Prinzip |
| Aggregate | gasförmig | flüssig | fest |
| Pflanzen | Blüte, Pollen, Duft | Blatt, Stängel | Frucht, Samen |
| Mensch | Geist (spiritus) | Seele (anima) | Körper (corpus) |
| Triade der höchsten Fähigkeiten | Sein | Sich beziehen | Tun |
| Astrologie | grundlegend | veränderlich | fest |
| Pythagoras | Monas („1“) = das Spirituelle | Trias („3“) = Einheit von Spirituellem und Materiellem | Dyas („2“) = das Materielle |
| Plato | Idee | ? | Abbild |
| Weltbild der Geomantie | Geist | Äther | Materie |
| Pogacnik | Urraum | Multidimensionaler Raum | Manifestierter Raum |
Die Drei in Potsdam
Die berühmteste Dreiheit in Potsdam bestand aus drei barocken Kirchenschwestern, die im 18. Jahrhundert unter Friedrich Wilhelm I. erbaut wurden:
- Im Zentrum der Altstadt, wo einst das erste Kirchenbauwerk in Potsdam (eine romanische Basilika aus dem 13. Jahrhundert) gestanden hatte, ließ der gottesfürchtige König die Nikolaikirche errichten (1721-24). Er weihte sie dem Heiligen Nikolaus (Schutzpatron der Fischer und Kaufleute) und gab ihr einen knapp 85 Meter hohen Glockenturm. Nachdem der Sakralbau 1795 ausgebrannt war, wurde unter Mitwirkung von Friedrich Wilhelm IV. ein klassizistischer Nachfolgebau konzipiert, der 1850 eingeweiht werden konnte – die heutige Nikolaikirche.
- In der „Urzelle“ Potsdams, wo sich die erste befestigte Siedlung befunden hatte, ließ der König die Reste der slawischen Burg aus dem 8. Jahrhundert abtragen, um dort 1726-28 die Heiliggeistkirche aufzubauen – mit einem 1734 ergänzten, 87 Meter hohen Turm. Sie wurde 1945 zerstört und 1997 durch einen modernen Neubau in der äußeren Form der ehemaligen Kirche ersetzt.
- Wiederum an der Stelle einer im 17. Jahrhundert erbauten Kapelle folgte 1730-35 der dritte und bedeutendste Bau: Die Garnisonkirche – „zur Ehre Gottes“ errichtet – besaß Platz für 3000 Menschen und einen Turm von 88,43 Metern Höhe und wurde vom König zu seiner eigenen Begräbnisstätte benannt. Auch sie fiel 1945 den Angriffen im 2. Weltkrieg zum Opfer. Ihr Wiederaufbau ist bis 2017 geplant.
Die Silhouetten der drei Kirchen waren im Stadtbild sehr markant, und lange Zeit galt diese mächtige Trinität als Wahrzeichen der Stadt. Die Ähnlichkeit ihrer Baukörper in Architektur und Größe bildete eine Gleichschwingung, die zusätzlich dadurch verstärkt wurde, dass sich alle drei Kirchenbauten exakt auf einer linearen Achse befanden (siehe Karte)!
Eine zweite Kirchendreiheit schuf ein anderer zutiefst religiöser Monarch im 19. Jahrhundert: Friedrich Wilhelm IV. Sie wird gebildet aus der bereits vorhandenen Garnisonkirche, der Friedenskirche (1845-48) und der Bornstedter Kirche (1842-43 / 1854-56 umgestaltet).
Friedrich Wilhelm IV. ließ in seiner 20jährigen Amtszeit in Preußen etwa 300 Kirchen errichten. Die bedeutendste von ihnen hatte er zu seiner eigenen Begräbnisstätte auserkoren: die Potsdamer Friedenskirche. Ihren Bau ließ er zu einem magischen Zeitpunkt beginnen, nämlich am 14. April 1845 – exakt hundert Jahre nach der Grundsteinlegung von Schloss Sanssouci. Für ihren Standort wählte er nicht nur den Marlygarten (die „Urzelle“ von Park Sanssouci) aus, sondern positionierte sie so, dass sie mit der Garnisonkirche (die damalige Ruhestätte von Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II.) und dem Schloss Sanssouci (die königliche Residenz) eine gerade Linie bildete.
Auch die Bornstedter Kirche befindet sich exakt auf dieser Achse. Auf dem dort angeschlossenen Friedhof sind viele königliche Diener von Rang und Namen beerdigt, darunter die Architekten der Friedenskirche Ludwig Persius und Ferdinand von Arnim sowieGartendirektor Peter Joseph Lenné und des Königs vertrautester Hofgärtner Hermann Sello.
Während es Friedrich Wilhelm I. mit seinem sakralen Achsensystem wohl eher um machtvolle Außendarstellung und politische Wirksamkeit ging, scheint die lineare Achse von Friedrich Wilhelm IV. eher Ausdruck seiner persönlichen Spiritualität gewesen zu sein. Möglicherweise war ihm die archaischen Vorstellung von den “Totenwegen” vertraut, die besagt, dass sich Geister und Ahnen nur auf schnurgeraden Wegen fortbewegen können. So konnte er sicherstellen, dass er nach seinem Ableben den Zugang zu jenen Orten, die ihm zu Lebzeiten so bedeutsam waren, wiederfinden würde.
Seine Vorliebe für lineare Achsen mit spirituellem Hintergrund wird auch besonders an der „Sonnenlinie“ im Park Charlottenhof deutlich (vgl. meine Publikation „Potsdam. Begegnungen mit Bäumen“, S. 67f).
