In der indischen Tradition gibt es den Mythos von Purusha (sanskr. “Mensch”), dem Weltenleib. Er symbolisiert das Universum in Menschengestalt.
Es heißt, drei Viertel dieses Urmenschen seien himmlisch und ein Viertel irdisch. Aus letzterem kam seine Frau Viraj hervor. Sie gebar den sterblichen Purusha, der zu einem Riesen heranwuchs. Die Himmelswesen, Devas genannt, brachten ihn als Opfer dar. Sie zerlegten seinen Körper, und aus den einzelnen Gliedern ging die Welt hervor: Sein Kopf wurde zum Himmel, seine Füße wurden zur Erde, sein Auge wurde zur Sonne und sein Atem wurde zum Wind.
Seit der Mensch seinen Fuß auf die Erde gesetzt hat, hegt er die Vorstellung von der Welt als ein Wesen, das 1. lebendig ist, 2. göttlichen Ursprungs ist und 3. in Analogie zum Menschen beschaffen ist.
Interessanterweise ist die Erde in allen europäischen Sprachen weiblich, und es gilt als anerkannte Tatsache, dass im Empfinden der steinzeitlichen Ackerbaukulturen ein mystischer Bezug zwischen der Fruchtbarkeit des Bodens und der Leben erschaffenden Kraft der Frau bestanden hat. Die Göttin der Steinzeit besaß die Macht, alles Leben aus ihrem Körper selbst hervorzubringen.
Berge, die sowohl in ihrer räumlichen als auch in ihrer zeitlichen Dimension ein Menschenleben als sehr gering erscheinen lassen, waren daher seit jeher ganz besondere Orte der Verehrung.
Sie gelten noch heute als Symbol für Erhabenheit, Beständigkeit, Ewigkeit, Festigkeit, Macht und Frieden.
In seiner Form kommt ein Berg einer weiblichen Brust oder einem schwangeren Bauch gleich. So repräsentiert er in urgeschichtlicher Zeit die Große Mutter, die Gaia, die alles existierende Leben hervorbringt und wieder zu sich nimmt.
“Berg” und “gebären” besitzen die gleiche indogermanische Sprachwurzel.
In ihrem Schoß beherbergt die Urmutter die Quellen des fruchtbaren Wassers, und aus ihrer Brust strömen die Flüsse des Lebens hervor. Grotten, schmale Gänge, ovale Kammern, Felsspalten und Höhlennischen sind von den Menschen der Steinzeit rot verziert und angemalt worden – die Farbe des mütterlichen Schoßes.
Die ersten megalithischen Anlagen Europas entstanden etwa ab 4300 v. Chr. Der Bau von Silbury Hill (etwa 2750 v. Chr.) ahmt sehr eindrücklich die Form eines weiblichen Körpers nach.
Im Mittelalter trugen noch viele Berge die Bezeichnung “Mons Veneris” (=”Venushügel”). Heute wird der Begriff in der Medizin verwand – für die weibliche Schamgegend.
Der ursprüngliche Name des Mount Everest, des höchsten Berges der Welt, ist Chomolungma, was soviel bedeutet wie “Mutter der Welt”.
Zwei Berge in Irland werden “Paps of Anu” genannt, also “Brüste der Anu”. Anu (auch Danu, Ana oder Dana) ist die keltische Erdgöttin, die allumfassende Mutter. Auch die Donau (lat. Danuvius) ist nach ihr benannt.
Dergestaltige Doppelgipfel wurden rund um den Globus verehrt: “Mashu” bei den Sumerern und “Macchu Picchu” bei den Inkas. Zu Deutsch “Alter Gipfel” ist er ein Bergheiligtum, aus dem die Sonne am Tag geboren und nachts wieder verschluckt wird.
Nach persischer Überlieferung lebte der Sonnengott Ahura Mazda in einem glühenden Palast auf dem Gipfel des Berges Hara. “Hara” bedeutet aus dem Hebräischen übersetzt sowohl “Berg” als auch “schwangerer Bauch”.
Aber die Erde gebiert nicht nur, sondern sie ist auch die Mutter der Toten. Daher sind Gräber sehr häufig in der Form eines mütterlichen Körpers errichtet worden.
So sind auch megalithische Steingräber (Dolmen) und keltische Hügelgräber (Tumuli) als Nachahmungen des heiligen Berges zu verstehen, Orte, an denen die Seelen einen optimalen Zugang zur Jenseitswelt haben.
Auch im Shintoismus, der alten Religion Japans, herrscht der Glaube, dass die Toten auf den Berggipfeln in eine andere Welt überwechseln.
Der Berg wird so betrachtet zu einem Verbindungsglied zwischen Himmel und Erde, zu einem Jenseitsweg, den der Mensch vor seiner Geburt und nach seinem Tod beschreitet.
Zu seiner Bedeutung als Organ von Mutter Erde gesellt sich nun der himmlische Aspekt des Berges:
Denn der Himmel (sprachverwandt mit “Himalaya“) wurde nicht als ein Gewölbe angesehen, sondern als ein Berg, den die Sonne vormittags hinauf- und nachmittags hinabsteigt.
Die Stufenpyramiden der Mayas veranschaulichen die Himmelsleiter, die der Sonnengott im Tagesverlauf beschreitet.
Doch nicht nur der Sonnengott ging hier ein und aus, der Berg war stets Heimat der Götter und von vielen über- und unterirdischen Wesen bewohnt. Als Übergangsort von einer Daseinsebene in die andere stellte er so etwas wie ein heiliges Sprachrohr dar, an dem Kontakt zu den Göttern aufgenommen werden konnte.
So suchten die Germanen bevorzugt Berge mit Quellteichen als Thingplätze auf, um sich bei ihrer Rechtsprechung der Weisheit der Götter sicher zu sein.
Die Nordeuropäer nannten die Heimat der Götter Himinbjorg (=Himmelsberg). Die Griechen hatten auf dem Olymp ihr Pantheon (=alle Götter). – Diese Vorstellung war den indogermanischen Völkern offenbar gemein.
Germanische Mythen sprechen von der Königin Sibylle (eine lateinisierte Form von Kybele, der griechischen Erdgöttin). Diese Sibylle war eine Orakelpriesterin, die in einem heiligen Berg in einer Grotte wohnte. Darin betrieb sie Nekromantie (= Weissagung durch die Toten; modern: Spiritismus, Geisterbeschwörung).
Viele Sagen berichten auch von Männern, die eine solche Höhle (=Jenseitsort) betraten und im “Paradies der Königin Sibylle” lebten, wie z.B. der Tannhäuser.
In den Märchen Europas kommt häufig ein Zauberberg vor, der sich auf ein bestimmtes Zeichen hin öffnet. Meist ist es eine wunderschöne Frau, die dem Helden Zugang zum Berg verschafft. In seinem Inneren sitzt eine Königin in all ihrer Herrlichkeit.
Das ist die Göttin der Erdfruchtbarkeit, die Königin, die die Geheimnisse des vegetativen Lebens kennt. (vgl. “Die Prinzessin auf dem gläsernen Berg” aus Norwegen)
Auch die Römer besaßen ihre nekromantischen Praktiken: Einmal im Jahr riefen Priester die Ahnengeister (die sog. Manes), um sie nach Omen zu fragen. Diese Geister lebten auf dem Palatin in einer Grube, die von einem heiligen Stein bedeckt war, dem sog. Lapis Manalis.
In Gebieten, in denen keine natürlichen Berge vorkommen, wurden künstliche Berge errichtet.
Für die ägyptischen Könige, die Stellvertreter der Sonnengottes auf der Erde, dienten die Pyramiden als Tore zum Himmel, das ihre Seelen nach dem Tod passieren konnten.
Die Babylonier errichteten ebenfalls ihre Himmelsberge, Zikkurate genannt. Das waren Stufentempel, die in den Städten ab 2100 v.Chr. entstanden und Gott die Möglichkeit boten, vom Himmel auf die Erde hinabzusteigen. Der “Turmbau zu Babel” (Ba-Bel = Tor Gottes) war ebenfalls eine solche Zikkurat.
Nebukadnezars Stufenturm bestand – ebenso wie die berühmten Hängenden Gärten Babylons – aus sieben Stockwerken, entsprechend den 7 Sphären des Himmels bzw. den 7 Planetensphären. Diesem alten Glauben entstammt auch der Ausdruck “im 7. Himmel”.
Der Islam übernahm das mesopotamische Weltbild von den 7 Stockwerken des Himmels ebenso wie das Christentum des Mittelalters.
In der Bibel erhalten Berge vielfach eine große Bedeutung als Kulminationspunkt von Spiritualität: Da ist der Berg Sinai, an dem Mose die 10 Gebote empfängt. Da ist der Ölberg, auf dem Jesus mit seinem Vater spricht. Da ist die Bergpredigt und natürlich Golgata, die Schädelstätte, auf der Jesus gekreuzigt worden sein soll. Es heißt, dort sei auch das Grab Adams gelegen. Dort habe Gott einst die Urschlange Rahab getötet. Es ist also ein Ort, an dem das Himmlische das Irdische trifft. Bei den Christen gilt er als Zentrum Jerusalems. Jerusalem selbst gilt als Zentrum der Welt.
Kreuz Jerusalems: 4 Himmelsrichtungen + 4 Sterne (Aldebaran, Auge des Stiers – Januar; Regulus, Herz des Löwen – April; Antares, Herz des Skorpions – Juli; Formalhaut, Maul der Fische – Oktober)
Der Ursprung aller Dinge ist dort zu finden, im Nabel der Welt, dort, wo die Verbindung (Nabelschnur) zur Urquelle besteht.
Dieser Nabel wird im Griechischen mit Omphalos (röm. Umbilicus) bezeichnet.
Hier treffen sich Gott (Baum, Speer, Kreuz, geopferter Mann) und Göttin (Berg, Drache, Garten, Quelle, Höhle), Himmel und Erde in medio mundi.
So wie das Christentum kennen auch die anderen Religionen ihren eigenen Mittelpunkt der Welt:
Für die Griechen ist es der Tempel zu Delphi. “Delphys” bedeutet Gebärmutter. Es ist ein alter Ort der Verehrung von Mutter Erde und ihrem Sohn und Gemahl Python (=Erdschlange!). An dieser Stelle befindet sich das älteste Orakel Griechenlands. Der Sage nach hat Apoll die Schlange, die um alle Geheimnisse der Erde weiß, mit seiner Lanze an den Ort fixiert, damit sie jeden Tag weissagte. Der Grabstein, den Apoll auf das Schlangenhaupt setzte, bildet den Omphalos.
Für die Römer ist es der Tempel der Vesta auf dem Palatinhügel. Grch. Hestia (=”Herd”) genannt ist sie eine sehr alte Göttin des Feuers. Sie verkörpert die Mitte des Zuhauses eines jeden Menschen. Interessant ist die Wortähnlichkeit von “Erde” und “Herd“, engl. “earth” und “hearth“. Oder “Herd” und “Herz“, “hearth” und “heart“. Das Herz des Reiches ist das ewige Feuer, das die Vestalinnen ständig nähren. Die erst Vestalin hieß Rhea Silvia (vgl. grch. Göttin Rhea). Sie war die Mutter von Romulus und Remus, die Gründer der Stadt Rom.
Für die Moslems ist es Mekka. Dort befindet sich das Heiligtum, die Kaaba. Es ist ein schwarzer Meteorstein, der die Verbindung vom Himmel zur Erde schafft.
Das achtspeichige Rad drückt den Omphalos (Nabe) und seinen Wirkkreis aus.
Omphalé ist die griechische Göttin des Mittelpunktes. Dem Mythos zufolge war sie eine Königin, die von Hermes den Herakles erkaufte, der ein Jahr lang als Sklave für sie arbeiten musste. Die zwölf Arbeiten, die der Halbgott verrichtete, entsprechen den zwölf Tierkreiszeichen, die die Sonne in einem Jahr durchwandert.
In der Bedeutung von Berg und Omphalos ähnlich ist die des Obelisken.
Nach ägyptischer Vorstellung ist er ein “Erzeugerstein”, ein riesiger Phallus, der die Erektion des Erdgottes Geb symbolisiert, in seiner ewigen Begierde, sich mit der Himmelsgöttin Nut (seine Zwillingsschwester und Gattin) zu paaren.
Der Phallus war Ausdruck von Lebenskraft. Früheste steinzeitliche Darstellungen verknüpfen sie mit der weiblichen Schöpferkraft. Höhlen, die Stalagmiten/Stalaktiten enthielten, wurden als heilige Stätten geachtet.
Nach dem slowenischen Geomanten Marko Pogacnik entspricht das System der Berge dem menschlichen Drüsensystem. In seiner Funktion ist es ein Organ des Landschaftsorganismus’, der die Ätherkraft der Erde reinigt und erneuert.
Man kann den Berg mit seinen Mineralien, Erzen und Gesteinen als einen riesigen Kristall betrachten, der gleichzeitig als Antenne und Sender wirkt. Er nimmt die kosmischen Impulse (stellar und planetar) oberirdisch und die irdischen Impulse unterirdisch auf und verbreitet sie im Land. Dabei konzentrieren die Berge die Kräfte aus dem Kosmos und der Atmosphäre und verbinden sie mit denen der Erde, wobei eine ausgewogene Synthese der Kräfte entsteht (Herzkraft, Resonanz im 4. Chakra).
An bestimmten Punkten in der Umgebung treten diese Kräfte wieder zu Tage. Diese Kraftquellen pulsieren rhythmisch und geben vitalenergetische bis geistige Qualitäten (Energie und Information) in den Raum ab. Wasserquellen, die an diesen Kraftquellen entspringen, werden oft “Heilige Quellen” genannt. Hier können Vitalisierung (vitalenergetische Kraft) und Inspiration (geistige Kraft) erfahren werden.
