Mein spiritueller Weg begann an einem sonnigen Tag bei einem Spaziergang mit meinem Vater. Ich war 13 Jahre alt, und wir durchstreiften unsere Wälder, in denen mein Vater bereits als Kind herumgetollt war. Er erzählte mir von damals und machte mich mit den Besitzverhältnissen der Waldgebiete vertraut; denn die, die noch meinem Großvater gehörten, würden eines Tages an mich übergehen.
Wir bogen in einen Seitenpfad ab. Er fiel leicht ab, der Boden war dunkler und etwas aufgeweicht vom Regen des vergangenen Tages. Ich rupfte an den hochgewachsenen Gräsern am Wegesrand, als ich plötzlich hellhörig wurde. Mein Vater hatte gerade von Menschen gesprochen, die tot gewesen waren, aber ins Leben zurückgeholt werden und anschließend über ihre Erlebnisse im Jenseits berichten konnten. Ich war erregt vor Erstaunen. Eine ganz neue Welt tat sich vor mir auf, und in mir entbrannte ein gewaltiges Verlangen, alles über sie zu erfahren. So bombardierte ich meinen Vater mit Fragen und lechzte nach jeder Antwort wie ein an Land gespülter Seestern nach Wasser. Er beschrieb mir den Tunnel, durch den die Seelen der klinisch Toten schwebten, die Klänge, die sie vernahmen, den Film, der ihr eigenes Leben rückblickend zeigte, und das Licht, das ihnen reine Liebe schenkte…
Das war prickelnder als jeder Actionfilm, den ich kannte – und ich kannte eine Menge!
Schließlich erzählte mein Vater mir, wie er selbst einmal als Kind seinen Körper verlassen hatte und die ganze Szenerie in seinem Elternhaus von „oben“ hatte beobachten können. „Schreib mir das alles auf, ja?“ forderte ich ihn im Wissensübereifer auf; denn schon immer hatte ich das Bedürfnis, alle wertvollen Gedanken und Worte schriftlich fixiert vor mir in meinen Händen zu halten.
Alles war so unglaublich für mich. Ich war aufgewühlt wie nie; denn tief in mir spürte ich, dass, wenn dies wahr wäre, alles auf einmal so viel mehr Sinn machte…
Mein Interesse für das Verborgene war entfacht, und sehr bald fand auch schon das erste esoterische Buch zu mir, das ich „zufällig“ im riesigen Bücherregal meiner Großeltern erspähte: „Das Leben nach dem Tod“ von Dr. Raimund A. Moody.
Ich studierte es mit mehr Enthusiasmus als alles andere, was mir jemals in Buchform untergekommen war. Ich war zum Forscher geworden; auf eigene Faust Dingen nachzuspüren und Neues zu entdecken, war viel spannender als in der Schule alles Wissen portionsweise vorgesetzt zu bekommen und im Wetteifer pauken zu müssen. –
Dennoch, ich war ein guter Schüler. Ich lernte jedoch nicht, weil mich der Stoff so unheimlich interessierte, sondern vielmehr, weil ich der beste sein wollte. Ich war begabt, und ich war ehrgeizig; denn ich wollte ja schließlich jemand sein in meiner nichtig kleinen Existenzspanne!
Diesem Leitsatz zufolge war ich gleichzeitig der Klassenkasper, der dem Musiklehrer mit seinen Späßen im Unterricht nicht enden wollende Schweißausbrüche bereitete, der Draufgänger, der sich immer mit halbstarken Banden von Größeren anlegte und vor allem die Mädchen mit seinen coolen Sprüchen und haarsträubenden Stunts imponierte, und der beste Kumpel, der immer gut drauf, hilfsbereit und bei allen beliebt war.
Aber mein Streben nach Anerkennung, die ich zweifellos von allen, Schülern und Lehrern gleichermaßen, bekam, hatte ein plötzliches Ende gefunden. Auf einmal hatte ich in meinem Leben wichtigeres zu tun, als einem Phantom nachzujagen und für etwas anerkannt zu werden, das ich selbst gar nicht war. Doch wer war ich?
Mit dieser Frage zog ich mich von allem zurück. Urplötzlich war sie zur zentralen Aufgabe meines Daseins geworden. Wenn es einen Sinn im Leben gab, dann den, die Antworten zu finden. Der Einschnitt, der einzig und allein durch diese Fokussierung entstand, war enorm. Er wandelte mein Leben vollständig. Eine Wiedergeburt im selben Körper vollzog sich sozusagen. Mein ganzes Augenmerk galt von nun an der Selbstfindung, alles andere verlor an Aufmerksamkeit und verfiel in der Dürre der Bedeutungslosigkeit. Totale Energieumkehr. Yang (die Energie, die hinausgeht) wurde zum Yin (die Energie, die hineinkommt). So extrovertiert ich gewesen war, so introvertiert wurde ich nun. – Mein Fische-Mond hatte die uneingeschränkte Herrschaft übernommen.
Mit dem neuen Schuljahr, das bald begann, kam auch ein neuer Schüler zu uns. Er hieß Patrick. Ein wenig verklemmt saß er da mit nach innen gewinkelten Füßen beim Sportunterricht auf der Bank. Seine Fußspitzen berührten sich beinahe, als ich mich zu ihm setzte und mich mit ihm unterhielt… Nicht lange, und er sollte zu meinem besten Freund werden.
Er war auf der Suche, genau wie ich.
Es war, als hätten wir uns vorher abgesprochen, um uns genau zu diesem Zeitpunkt zu begegnen, damit wir gemeinsam die aufregende, uns nun bevorstehende Reise antreten konnten. Im Alleingang wäre sie bei weitem beschwerlicher verlaufen und hätte ohne die gnadenlos präsente Unterstützung durch den anderen sehr leicht gegen Wände und auf Irrwege führen können. – Denn was unternimmt man, wenn man alleine auf unbekanntem, schlüpfrigem Gelände fernab jeder Fernstraße mit dem Wagen stecken bleibt und niemanden hat, der ihn anschieben könnte?
Eine Reise ins Innere begann. Dorthin, wo alle Antworten schlummern und nur darauf warten, bewusst gemacht zu werden. Dorthin, wo der Suchende Schritt für Schritt Begegnungen macht, die ihm anbieten, ein Mysterium seines Seins, wer und warum er ist, woher er kommt und wohin er geht, zu offenbaren.
Wir hielten zusammen wie Pech und Schwefel. Unentwegt waren wir zusammen. Meistens von zehn nach sieben in der Früh bis halb sieben am Abend, unterbrochen nur durch eine Stunde Mittag bei Muttern, sonst gab es nichts, was wir nicht hätten gemeinsam unternehmen wollen.
Für ihn ließ ich sogar meine erste Freundin, auf die ich mich zu der Zeit eingelassen hatte, sitzen – und das gleich zweimal. Mit einer Freundin war es jedenfalls für lange Zeit gelaufen. Dafür hatten wir in der Klasse nun unseren Klassifizierungsstempel weg: „Die zwei Schwulen“. Doch was wir beide tatsächlich miteinander trieben, das konnten sich die anderen nicht einmal erträumen: Meditationstechniken in allen Varianten, Bewusstseinsreisen in die Tiefen des Universums, Hypnose- und Trance-Experimente, Diskussionen über Religion und Philosophie, denen keiner von ihnen auch nur ansatzweise hätte folgen können…
Wir verschlangen reihenweise Bücher darüber, und jeder berichtete dem anderen immer über seine neuen Erkenntnisse, die er hinzugewonnen hatte. Jedes Buch hielt ein ganzes Paket fertiger Antworten bereit, die ich alle als buntes Sammelsurium in meinem Hirn speicherte. Ich stellte mir vor, wie ich all die Fragmente wie ein Alchimist in dem Feuerofen meines Verstandes zusammenführte und verschmölze und als Endprodukt den Kern der Wahrheit erhielt, den ich ja so verbissen suchte. Ins Schleudern geriet ich nur, wenn sich auf einmal Aussagen widersprachen, und ich nicht mehr wusste, an welche ich mich denn halten sollte. –
Aber jedenfalls kannte ich der Antworten viele, zu denen all die anderen Schüler in meiner Klasse nicht einmal die Fragen wussten.
Eines Tages, ich saß im Kaminzimmer an der alten Orgel meiner Mutter und hatte meine Eigenkompositionen geübt, schaltete ich das Radio ein, das, seit ich denken kann, auf der hölzernen Deckplatte des Tasteninstrumentes seinen Platz hatte. Ich platzte „zufällig“ mitten in eine Radioshow mit Nina Hagen hinein, die gerade von ihrem damaligen Lieblingsbuch sprach… Nicht lange danach besaß ich es auch: „Zwischenleben“ von der berühmten Tänzerin und Schauspielerin Shirley MacLaine.
Ich las es mit derselben Begeisterung, die ich auch all ihren anderen Büchern schenkte, in denen sie ausführlich von ihrem spirituellen Werdegang berichtet. Unter anderem beschrieb sie, wie sie zu ihrer Freundin Chris Griscom nach Galisteo, New Mexico, gereist war, um sich dort bei ihr im Light-Institute einer Art Therapie zu unterziehen, die es ermöglichte, Erinnerungen an vergangene Leben hinter dem Schleier des Vergessens hervorzuholen, um dadurch Probleme und Konflikte im heutigen Leben besser verstehen, bewältigen und auflösen zu können.
Auf diese Weise wurde ich nun mit der Welt von Chris Griscom vertraut. Ihre Bücher wiederum entfachten in mir den Wunsch, selbst all die faszinierenden Möglichkeiten zur Selbsterforschung kennen zu lernen. Und zum ersten Mal erfuhr ich von der Schule, die sie gegründet hatte, um jungen Menschen die Werkzeuge mit ins Leben zu geben, die die neue Generation der Weltbürger am nötigsten braucht: Bewusstheit und Selbsterkenntnis.